Krieg

Und auf einmal war er da. Der Krieg in Europa. Ausgelöst von einem Mann, der die westlichen Werte, Demokratie und Freiheit, zu seinem wahren Ziel gemacht hat. Der einen Angriffskrieg auf sein Nachbarland führt. Der geschichtsvergessen oder besser geschichtsversessen die Grenzen von Nationalstaaten verschieben will. Der das Recht des Stärkeren über das der Völker stellt. Und der einen ganzen Kontinent in Angst, Schrecken und Leid stürzt. Über Nacht wirken Corona, Klimakrise, Hunger, Armut und andere Probleme wie weggeblasen. Die ersten sieben Tage habe ich ohne Pause über diesen Krieg berichtet. Bin früh in den Sender und spät wieder raus. Hab mal fünf, mal vier Stunden am Stück im Studio gesessen. Bilder und Geschehnisse mit Experten und Reportern vor Ort einzuordnen versucht. Professionell. Mit Abstand, auch wenn es immer wieder Momente gab, die durch den Schutzanzug des Journalisten gedrungen sind, den ich mir in all den Jahren angelegt habe. Vor allem die Szene des Vaters, der in den Krieg gegen einen übermächtigen Gegner ziehen muss und sich von seiner Frau und seiner kleinen Tochter verabschieden muss. Und der nicht Stärke zeigen kann, sondern genauso weint wie seine Tochter. Das hätte ich selbst sein können. Sich im anderen zu erkennen – schmerzhaft. Empathie, neben der Wahrheit auch eins der ersten Opfer im Krieg. Am achten Tag hatte ich frei. Und bin in ein Loch gefallen. Das Loslassen hatte all die Bilder hochgespült. Die Gedanken über einen möglichen Atomkrieg. Über den Schrecken von Millionen, über hunderttausende, die fliehen, Tausende die sterben. Über verstümmelte Menschen, um Hilfe flehende Kriegsopfer. Auch was wir sehen kann uns verletzen.

Aber wir leben ja immer auch in einer Welt der Gleichzeitigkeiten. An den gleichen Tagen des Schreckens nehmen wir unsere Kinder in den Arm, trösten sie, lachen und freuen uns mit ihnen. Umarmen und küssen unsere Liebsten, freuen uns über die Sonne, die endlich rauskommt, über die Tage, die wieder länger werden. Es passiert alles in der gleichen Welt, zur gleichen Zeit. Und eigentlich hatten wir alle ganz andere Pläne für diesen März, als uns mit Krieg, Tod und Zerstörung auseinandersetzen zu müssen.

Meine Frau und ich hatten uns seit Monaten auf diese Woche gefreut, in der unser Buch erscheint, das wir gemeinsam geschrieben haben. Dafür hatten wir einen schönen Film gedreht, um zu erklären, warum wir uns vor fast einem Jahr hingesetzt und dieses Buch geschrieben haben. All das fühlt sich jetzt komisch an. Wie darüber schreiben? Wie darauf hinweisen? Die Klimakrise bleibt ein wichtiges Thema. Verantwortung unseren Kindern gegenüber bleibt ein wichtiges Thema. Lösungen zu finden, die Menschen zu motivieren anzupacken – all das bleibt weiter wichtig. Themen. So schlimm dieser Krieg ist, Klimakrise und Corona sind nicht beseitigt. Der Hunger in der Welt ist es nicht. Unsere Verantwortung für die Welt bleibt. Man kann und sollte beides: Das Kriegsleid nicht verdrängen und trotzdem auch andere Dinge betrachten.

Wir müssen also darüber sprechen, schreiben. Am Rande der Berichterstattung über Putins Krieg. Und das werde ich in der kommenden Woche versuchen. Vorsichtig, natürlich, weil das Leid der Millionen Kriegsbetroffenen vorgeht. Immer. Gerade jetzt sind positive Nachrichten besonders wichtig. Konstruktiver Journalismus. Lösungen. Das Gefühl zu vermitteln, selbst etwas tun zu können. Wirkmächtig zu sein.

Viele erleben das in diesen Tagen indem sie sich für die Menschen in der Ukraine engagieren. Indem sie Spenden sammeln, zusammentragen, organisieren und dorthin bringen. Indem sie spenden. Indem sie blau-gelbe Farben tragen und mit zehntausenden anderen auf die Straße gehen,  Botschaften über ihre sozialen Netzwerke teilen, Menschen aus den Kriegsgebieten aufnehmen. All das soll bitte nicht aufhören.

Wir sind Menschen, grundsätzlich fähig zu Empathie. Davon bin ich zutiefst überzeugt!

Maik Meuser