You're special

Bevor ich in diese Woche mit dem verschärften Corona-Lockdown starte muss ich das hier noch los werden.

Diese Worte: „Go home, we love you, you’re very special.“ Was in der vergangenen Woche in Washington passiert ist, beschäftigt mich noch heute. Bis nach Mitternacht saß ich wie gebannt vorm Fernseher, schaltete zwischen ntv und CNN hin und her und wühlte mich durch Twitter. Die Bilder des Sturms aufs Capitol waren das eine, die Worte des amtierenden Präsidenten zu einer Horde von größtenteils weißen Männern, die das Capitol, das Herz der Demokratie gestürmt und geschändet haben das andere. Den Ansturm verfolgte Donald Trump im Weißen Haus auf dem Fernseher. Und „griff erst ein“ mit dieser entsetzlichen Mini-Rede, nachdem ihn der gewählte Präsident Joe Biden öffentlich dazu aufgefordert hatte. Nie war es deutlicher als an diesem Tag: Der scheidende Präsident Donald Trump hat mit seiner dauerhaften Erzählung von der gestohlenen Wahl einen Keil in das Mutterland der USA getrieben. So tief, dass man kaum noch hoffen kann, dass Joe Biden und Kamala Harris überhaupt eine Chance haben werden, dieses Land wieder mit sich selbst zu versöhnen, geschweige denn zu einen. United States – nie war das weiter weg.

Und Trump? Abgewählt und ausgesperrt – Twitter hat sich dann ja doch noch dazu entschlossen, den Account von Trump dauerhaft abzumelden. Eine nicht ganz unproblematische Entscheidung – aber gab es dazu eine Alternative? Rund 88 Millionen Menschen hat der 45. Präsident der USA so bisher erreicht. Und, so die Meinung vieler Beobachter, auch aufgehetzt. „Das Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt“ sei zu groß, so der Kurznachrichtendienst über den Präsidenten der USA! Der hatte mit seiner Amtszeit auch einen Rekord aufgestellt: Der Herr der Lügen, wie ihn der Kollege Patrick Gensing von der Tagesschau taufte, hat laut Washington Post in 1.386 als Präsident (Stand 5. November 2020) 29.508 Unwahrheiten verbreitet – das wären pro Tag rund 21 falsche oder in die Irre führende Behauptungen. Eigentlich unglaublich. Und gefährlich, weil er damit bisher ungefiltert seine Anhängerschaft erreichen konnte. Jetzt aber ist er doch wieder angewiesen auf Medien, die ihn korrigieren und in Frage stellen. Kein Wunder also, dass Trump offenbar über den Aufbau einer eigenen Plattform für Kurznachrichten nachdenkt.

Für die USA könnte das Teil eines Problems werden, das mit dem 20. Januar ja nicht enden wird, wenn Joe Biden nach der Amtsübernahme der 46. Präsident der USA werden wird. Dann wird Trump ja nur aus dem Weißen Haus verschwunden sein, nicht aber aus der Öffentlichkeit. Seine Anhänger hinterlassen mit ihrem Sturm auf das Kapitol, bei dem sie sich ja ganz ausdrücklich auf Trump  bezogen haben, Entsetzen und Ratlosigkeit. Und fünf Tote. Es hätten mehr werden können, hätten die Sicherheitskräfte nicht zwei Rohrbomben entschärfen können. 70 Festnahmen nach sechs Stunden Chaos. Für das viele Demokraten Trump verantwortlich machen und deshalb auch einen neuen Versuch starten wollen – für ein Amtsenthebungsverfahren, keine zwei Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit. Keine Frage: Die Szenen der vergangenen Woche haben nicht nur die USA tief getroffen. Und man muss die Warnung des Terrorismusexperten Peter Neumann sehr ernst nehmen, der am Wochenende auf Twitter schrieb: „Warum ich glaube, dass (Teile von) QAnon sehr viel gefährlicher für die USA werden wird als die Dschihadisten: 1. Es gibt mehr von ihnen, 2. Sie haben mehr Waffen, 3. Es ist ein inländischer Feind (größeres Potential für eine weitere Spaltung), 4. Infiltration von Militär und Polizei.“ Da kommt noch was auf die USA zu.

Der ehemalige republikanischen (!) Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, wirft Trump jetzt öffentlichkeitswirksam vor: Er sei der schlechteste Präsident der USA.

Und ich befürchte: Er ist und bleibt auch über seine Amtszeit hinaus auch der gefährlichste.

Maik Meuser