Wenn die Welle bricht, reicht es - nicht

Kein exponentielles Wachstum mehr bei den Corona-Neuinfektionen in Deutschland. Aber. Manchmal kommt es auch auf die Verspätung an, oder besser gesagt auf das, was nachkommt, wenn man glaubt, jetzt hat man es geschafft. Beim Kampf gegen die Corona-Pandemie kann das, was kommt, tödlich sein. Die täglichen Neuinfektionen bleiben auch in dieser Woche hoch. Zu hoch. Entscheidend aber sind ja nicht die Neuinfektionen allein, denn viele Menschen überleben die Erkrankung, manche mit Folgeschäden. Aber es sterben jeden Tag auch viele Menschen. Und ihre Zahl ist gestiegen. Deutlich. Sie liegt heute bei 410 und hat sich zum Vortag fast verdoppelt. Bisher stammte der Höchstwert aus der ersten Welle, Mitte April. Da waren es 315. Die Todeszahl wird erstmal weiter hoch bleiben, wohl noch wochenlang, selbst wenn die Neuinfektionen massiv runter gehen würden, was sie leider nicht tun. Viele Menschen sterben erst nach Wochen des Leidens. Das heißt, die hohe Todeszahl heute referiert auf die hohen Ansteckungszahlen von etwa Ende Oktober. Dazu kommt auch, dass das Robert Koch Institut, das die Zahlen veröffentlicht teilweise erst ein oder zwei Wochen nach dem Tod des Patienten darüber unterrichtet werden, wie die Kollegen vom Spiegel berichten. Das alles muss man auch bedenken, wenn man heute darauf schaut, was beim Corona-Gipfel zwischen Kanzlerin und Länderchefinnen und Chefs beschlossen werden wird. Alles mit Blick auf das Weihnachtsfest, das gerettet werden soll. Aber reicht das eigentlich? Ist das nicht zu kurz gesprungen? Angesichts der weiter hohen Zahlen? Die oppositionellen Grünen und die FDP fordern dagegen eine längerfristige Perspektive, eine Strategie bis ins Frühjahr. Nicht weiter auf Sicht fahren. Planbarkeit schaffen.

So sehr ich mir ein schönes Weihnachtsfest am Ende dieses völlig verkorksten Jahres wünsche, so sehr habe ich doch Bauchschmerzen, wenn ich daran denke. Es wird kein unbeschwertes Treffen mit der Familie wie eigentlich sonst. Das Virus macht ja keine Ferien. Und Familienfeiern waren ja auch schon bisher einer der größten Treiber der Pandemie. Warum sollte das unter dem Weihnachtsbaum also anders sein. Janko Tietz vom Spiegel hat dieses Unbehagen gestern Abend ziemlich gut eingefangen, in einer Überschrift mit nur zwei Worte: „Froher Test“. Denn machen wir uns nichts vor, am Ende ist das, was die Länderchefs und selbst der bayrische Ministerpräsident da zulassen schon so etwas wie ein großer Feldversuch. Drei oder mehr Tage lang, vielleicht ja sogar Silvester eingeschlossen, machen wir das Gegenteil von dem, was wir in den vergangenen Wochen versucht haben: Kontaktvermeidung. Was aber nutzt es den Teil-Lockdown bis zum 20. Dezember zu verlängern und vielleicht sogar noch zu verschärfen, wenn wir uns dann vier Tage später fröhlich unterm Tannenbaum treffen zum weihnachtlichen Spreaderevent. So führt eine Lockerung zu stärkeren Ansteckungen, sagt der Nothilfekoordinator der Weltgesundheitsorganisation Mike Ryan. Was also tun, damit man beim Anhören von Stille Nacht nicht aus ganz anderen Gründen eine Gänsehaut bekommt? Experten empfehlen, dass sich Erwachsene vorher in eine fünftägige Selbstisolation begeben.

Am Ende bleibt nur eins: Lasst uns froh und vorsichtig sein.

Maik Meuser